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This Day in Alternate History Blog
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Es lebe Deutschland! I. Eine alternativhistorische Anmerkung
von Michael Preis
Der Zweite Weltkrieg wurde in seinem furiosen Finale zur größten Katastrophe in der Geschichte Deutschlands, zu einem unvergleichlichen nationalen Inferno, das sogar noch jenes des Dreißigjährigen Krieges übertraf. Wann ist eine Nation jemals so vernichtend geschlagen worden wie Deutschland im Zweiten Weltkrieg? Es war das Ende Deutschlands. Finis Germaniae. Gab es die Alternative eines Weltkriegsszenariums, das nicht in der bedingungslosen Kapitulation und totalen Niederlage Deutschlands geendet hätte? Nun, es gab sie nicht, wie sich erwiesen hat – jedenfalls nicht, solange das NS – Regime existierte. Ob Hitler den Zweiten Weltkrieg alleine ausgelöst hat oder nicht, er mußte Deutschland durch Grundmotiv und Hauptziel der nationalsozialistische Ideologie mit fast mathematischer Sicherheit in den Abgrund stürzen: Die Zerschlagung der Sowjetunion zur Vernichtung des „jüdischen Bolschewismus" und die Unterjochung Rußlands zur „Eroberung von Lebensraum". Hitler gab sich dabei lange der Illusion hin, daß die Briten ihm freie Hand auf dem Kontinent lassen und ihre jahrhundertealte Gleichgewichtspolitik aufgeben würden. Eine schwerwiegende Wunschvorstellung, die das außenpolitische Lebensgesetz Großbritanniens sträflich verkannte und durch ihre Konsequenz katastrophal verschlimmert wurde: Die Konfrontation mit Großbritannien bedeutete nämlich – wie im Ersten Weltkrieg erwiesen – früher oder später auch die mit den USA, die keinesfalls eine Niederwerfung Großbritanniens und Frankreichs zulassen würden. Die USA verfügten vor dem Zweiten Weltkrieg in Friedenszeiten über keine größere Landstreitmacht als ein europäischer Kleinstaat, hatten 1917/18 aber eindrucksvoll bewiesen, wie schnell sie ein riesiges und kriegsentscheidendes Potential zu mobilisieren imstande waren. Das war eben alles nicht „Barnum", wie Generalfeldmarschall von Hindenburg nach der amerikanischen Kriegserklärung 1917 noch festzustellen können meinte. Unter diesen Auspizien hatte Deutschland den Krieg seit dem 3. September 1939 um 11 Uhr, als die Kriegserklärung Großbritanniens erfolgte, verloren. Zumal Hitlers Konzeption, was den Vorstoß gen Osten, den Angriff auf die Sowjetunion betraf, die ein Koloß auf tönernen Füßen sei, wie er meinte, nicht weniger irreal war. Rußland ist zwar immer wieder geschlagen worden – zuletzt im Ersten Weltkrieg - kann aber nicht unterworfen werden, jedenfalls nicht durch eine europäische Macht: Die Weite des Raumes, die Härte des Winters, seine enormen Ressourcen und die Zähigkeit und Tapferkeit des Volkes stehen dem unüberwindbar entgegen. Nie hat es eine außenpolitische Konzeption gegeben, die ideologischen Wahnsinn und Größenwahn in so fataler Weise verband und damit eine so starke und dabei im Grunde genommen doch so antagonistische feindliche Koalition schmiedete. Es fehlt in der Geschichte nicht an praktiziertem politischem Wahnsinn, wer sich aber mit seiner perfektionierten Form beschäftigen möchte, wird bei Hitler und dem Nationalsozialismus fündig. Diese realgeschichtliche Entwicklung war alternativlos und es ist vielmehr erstaunlich, daß Deutschland die verhängnisvolle Auseinandersetzung, bei Überstrapazierung der eigenen Kräfte vom ersten Tag an, fast sechs Jahre gegen das mehrfach überlegene Potential seiner Feinde durchstehen und diese sogar mehrfach in schwere Bedrängnis bringen konnte. Damit aber schließt sich der Kreis wieder bei der Einschränkung ´solange Hitler an der Macht war und das NS – Regime bestand´ mit der alternativgeschichtlichen Fragestellung: Und wenn nicht? Was wäre gewesen, wenn Hitler einer der Offizierverschwörungen im Krieg zum Opfer gefallen wäre – einer allerdings vor der Landung der Alliierten in Frankreich und der Errichtung einer Front im Westen, die den Krieg unabwendbar gegen Deutschland entschied? Die Tötung Hitlers und ein erfolgreicher Militärputsch am 20. Juli 1944 hätten die Niederwerfung Deutschlands nicht mehr verhindern können. Es geht also um den Erfolg einer der Militärverschwörungen gegen Hitler im Jahr 1943, spätestens im Frühjahr 1944. Denn dies muß der Neid ihm lassen: Hitler war in vielerlei Hinsicht ein bemerkenswerter Mann und schuf nicht nur eine Kriegskoalition zwischen Angelsachsen und Sowjets, sondern brachte sogar preußische Offiziere dazu, sich zu verschwören, Attentate zu planen und Bomben zu legen. Ohne Erfolg allerdings. Mal fror eine Bombe in Rußland ein, mal verließ Hitler den geplanten Ort des Attentats unerwartet und frühzeitig, mal wurde der Attentäter im letzten Augenblick nicht zu Hitler vorgelassen, mal sein Termin mit ihm unerwartet abgesagt. Es ist schon fast verwunderlich, daß Hitler seiner geplanten Beseitigung immer wieder entging, mit diabolischem Glück oder einem untrüglichen Gespür für Gefahren versehen und seine Karriere im Bunker der Reichskanzlei in Berlin beschließen konnte. Wäre dem nicht so gewesen und eines der sechs geplanten Attentate auf Hitler vor dem Stauffenbergs zustande gekommen und erfolgreich gewesen, hätte es durchaus zu einem positiven Einfluß auf die Kriegsführung Deutschlands kommen können. Die Beseitigung Hitlers wäre das Ende des NS – Regimes gewesen, einer charismatischen Diktatur, die, ganz auf ihren „Führer" ausgerichtet, ohne ihn nicht existenzfähig war. Der hatte keinerlei tragfähigen konstitutionellen Rahmen hinterlassen und herrschte de facto im permanenten Notstand aufgrund des Ermächtigungsgesetzes von 1933, das alle vier Jahre verlängert wurde, während die Verfassung der Weimarer Republik offiziell in Kraft blieb, ihre Institutionen aber handlungsunfähig waren: Hitler war als „Führer" Reichspräsident und Reichskanzler in einer Person und hatte den Reichstag zur bloßen Kulisse seiner gelegentlichen Auftritte gemacht. Es gab lediglich seine testamentarische Bestimmung „Reichsmarschall" Görings zu seinem Nachfolger - eines morphiumsüchtigen Fettwanstes, der einen Renaissancefürsten in lächerlicher Weise zu imitieren suchte, Kunstwerke zusammenraubte und seit Beginn der angelsächsischen Bomberoffensive jeglichen Kredit im Volk verspielt hatte. Kaum der Mann, der als „Führer Nummer 2" das von Hitler hinterlassene Machtvakuum ausfüllen und das Chaos hätte ordnen können. Auch die Partei war nicht zur Stelle, in der es kein einziges Gremium, keinen Großrat wie bei den Faschisten, kein Politbüro wie bei den Bolschewiki gab, sondern nur die von ihrem „Führer" kontrollierten feudalistischen Personalstrukturen. Ohne Hitler wären die Rivalitäten in ihr in die offene und paralysierende Feindschaft verschiedener Fraktionen und Cliquen umgeschlagen. Daß galt gerade auch für ihre bewaffnete Eliteorganisation, die SS, in der die Nähe zum und der Bezug auf den „Führer" über Karriere und Macht entschieden und in der es viele kleine Führer gab, die führender werden wollten. SS – Chef Himmler, sofern nicht in Hitlers Beseitigung eingeschlossen, hätte damit nur über ein prekäres Instrument für den eventuellen Versuch einer staatsstreichartigen Machtergreifung verfügt – die überdies auf den Widerstand der Armee gestoßen wäre. Und welche Möglichkeiten hätte das Sprachrohr des Regimes, Propagandaminister Goebbels gehabt? Keine. Er hatte gewiß seine Qualitäten als Propagandist und noch mehr als Hurenbock, war aber ansonsten ganz und gar die Kreatur Hitlers und ohne Hitler nichts. Die Realgeschichte hat es bewiesen. Göring, Himmler und Goebbels waren die einzigen Nazis, die überhaupt als Nachfolger Hitlers in Frage gekommen wären – was genug besagt über die Perspektive eines NS – Systems ohne seinen „Führer". Dessen Tötung – und damit die mehr oder weniger lange Auflösung seines Regimes, wären die unabdingbare Voraussetzung einer für Deutschland positiveren Entwicklung gewesen. Wie kann diese skizziert werden? Das auf Hitler folgende Regime hätte wieder Politik gemacht. Das klingt wie eine Selbstverständlichkeit, die sie aber nicht ist. „Politik? Ich mache keine Politik mehr. Das widert mich so an", hatte Hitler auf die Aufforderung zu einer politischen Initiative gegen die feindliche Koalition erklärt, ein andermal geäußert, er fühle sich angesichts ihrer wie eine Spinne im Netz, die auf ihre Opfer warte - tatsächlich war die Situation genau umgekehrt. Die gegen Deutschland gerichtete Allianz zwischen den angelsächsischen Mächten und der Sowjetunion war ja offensichtlich die vielleicht seltsamste Verbindung ihrer Art in der Geschichte. Von schier unerschöpflichem Potential, war sie zugleich latent instabil und permanent krisenanfällig, einzig von dem Ziel zusammengehalten, das NS – Regime zu vernichten und Deutschland zu unterwerfen. Das heißt eben nicht, daß sie mit dem Ende Hitlers auseinandergebrochen oder die Casablanca – Politik, die Forderung bedingungsloser Kapitulation, ad acta gelegt worden wäre - daran war nicht zu denken, solange Roosevelt und Churchill an der Macht waren. Ein anderes Regime als das Hitlers hätte die feindliche Koalition aber durch autonome „Entnazifizierung" nach innen und außen sowie Waffenstillstandinitiativen methodisch demoralisieren, ihre offensichtlichen scharfen ideologischen Gegensätze vertiefen und ihre Kampfkraft damit mindestens teilweise untergraben können. Das deutsche Volk wäre nicht mehr mit den parallel zu seinem Niedergang immer idiotischeren Propagandaformeln des NS – Regimes belästigt worden - wie der vom „Endsieg" - und statt auf Phantasmen auf die Realität konzentriert worden, in der es nur noch die geringe Chance gab, die Unterwerfung Deutschlands und die Zerschlagung des Reiches abzuwenden. Kurzum: Mit Hitlers Ende wäre der politische Ansatz nicht mehr rassenbiologisch – imperialistisch sondern wieder national gewesen. Hitler, Idealrepräsentant einer politischen Bewegung, in der die tragischen Fehlentwicklungen der Geschichte Deutschlands exzessive und revolutionäre Formen annahmen, als ihr katastrophaler Schlußpunkt sozusagen, war keine beliebig austauschbare und zufällige historische Figur und er war – anders als zum Beispiel Mussolini mit seinem Faschismus – eben kein Nationalist. Hitler ging es um die „Art", die „nordische" oder „germanische Rasse" (was auch immer das sein soll), nicht um Deutschland. In letzter Konsequenz war die Entscheidung über das Schicksal Deutschlands, bei allen eventuellen politischen Unternehmungen, eine militärische – und die militärische Lage Deutschlands war, seit dem Kriegseintritt der USA und den verheerenden Niederlagen in Stalingrad und vor El Alamein praktisch aussichtslos. Die strategische Initiative war eindeutig an die Feindkoalition übergegangen, die über eine enorme zahlenmäßige und materielle Überlegenheit verfügte und sowohl den Luft- als auch den Seeraum faktisch uneingeschränkt kontrollierte. Wäre die militärische Situation Deutschlands in dieser Situation ohne Hitler besser gewesen und wenn ja – inwiefern? Hitler war nicht der hoffnungslose militärische Dilettant, als der er in Generalsmemoiren figuriert. Er setzte den „Sichelschnitt" gegen die konservative Generalität durch – den Operationsplan, der, wenn auch nicht von ihm entworfen, den Sieg über Frankreich erbrachte. Er verhinderte womöglich den Zusammenbruch der Ostfront im Winter 41/42 durch die fanatische Durchsetzung starrer und umfassender Defensive. Er organisierte die blitzschnelle Reaktion auf den Abfall und Zusammenbruch Italiens, der andernfalls in der alliierten Invasion Deutschlands hätte enden können. In diesen Hitlerschen Erfolgen wurde allerdings schon – einer Nemesis der Geschichte gleich – das Fundament verhängnisvoller militärischer Fehlentscheidungen gelegt. Der Volksmund erklärte Hitler nach dem Sieg über Frankreich zum „Gröfaz", zum „Größten Feldherrn aller Zeiten" – und er glaubte offenbar selbst daran und wurde weitgehend beratungsresistent und allzuständig bezüglich militärischer Operationen. Nach dem Scheitern vor Moskau ernannte er sich zum Oberbefehlshaber des Heeres und wurde damit als Staatsoberhaupt auch sein eigener Vorgesetzter. In dieser Funktion verfügte er bei feindlichen Angriffen jene Defensive, die im Winter 41/42 Erfolg gehabt hatte, nun jedoch die stark geschwächten und unterlegenen deutschen Kräfte zusätzlich auslaugte und den Feind zu raumgreifenden erfolgreichen Vorstößen geradezu einlud. Daß wirkte sich insbesondere aus, als nach dem Untergang der 6. Armee in Stalingrad – die Hitler, wie den Kessel von Demjansk ein dreiviertel Jahr zuvor, aus der Luft versorgen zu können meinte – die Initiative eindeutig an die Rote Armee gefallen war. Hitlers Operationsführung in der Defensive mutet fast bizarr an, wenn nicht sogar, neben einer gewissen Gleichgültigkeit, ein in der Geschichte in dieser Position wohl einmaliger Verrat im Spiel war, hatte er doch schon am 27. November 1941 geäußert, er werde dem deutschen Volk „keine Träne nachweinen", wenn es in diesem Krieg „durch eine stärkere Macht zugrunde geht." Es entsteht der Eindruck, daß er seinen Untergang wie die Götterdämmerung einer Wagneroper inszenierte – hierbei allerdings Millionen mit in den Tod riß, die Geschichte und Zukunft einer ganzen Nation und ihren Staat mitnahm und einen verwüsteten Kontinent zurückließ. Eine von Hitler befreite militärische Leitung Deutschlands hätte vermutlich die Taktik angewandt, die Generalfeldmarschall von Manstein in Anbetracht unterlegener Kräfte konzipiert und erfolgreich zur Stabilisierung des Südabschnitts der Ostfront nach Stalingrad angewandt hatte: Die flexible Defensive des „Schlagens aus der Nachhand". Massive Vorstöße der Roten Armee wurden dabei durch kleine Gegenstöße ausgebremst und im günstigsten Fall zerschlagen. Bei konsequenter Durchführung, gestützt auf den geplanten, von Hitler verworfenen Bau befestigter Auffangstellungen und der Verkürzung der Front, wäre dies die einzige Möglichkeit gewesen, das verbliebene Ziel im Osten zu realisieren: Eine militärische Pattsituation, die Stalin verhandlungsbereit machte. Die aufgekommene Spekulation, daß Stalin noch 1943 – bei unveränderter Kriegssituation auf der Siegesstraße - auf ein Waffenstillstandsangebot des Reiches eingegangen wäre, ist illusorisch. Die Behauptung der Front im Osten wäre jedoch wertlos gewesen ohne die Abwehr einer alliierten Landung in Frankreich, eines Zweifrontenkrieges und damit der Kriegsentscheidung gegen Deutschland. War dies realisierbar? Es war nicht möglich, die alliierte Invasion, angesichts ihrer gewaltigen Übermacht an Aufgebot, Material und Feuerkraft, bei totaler Beherrschung des Luftraums, am „Atlantikwall" ins Meer zu werfen. Dazu war die Defensivstellung in jeder Hinsicht viel zu schwach, zu schwach besetzt mit Truppen und Geschützen. Zudem hatte der Fall der Maginotlinie gezeigt, daß derartige Festungswerke im modernen Krieg nutzlos waren. Die Schule Rommels war also zum Scheitern verurteilt. Die alternative Schule Rundstedts, die alliierte Invasion durch die Gegenoffensive in Reserve gehaltener Panzerdivisionen zu besiegen aber gleichfalls: Die Alliierten konnten sie schon aus der Luft entscheidend schwächen, wenn nicht zerschlagen. Die Tragödie des Abwehrkampfes Deutschlands im Westen bestand also darin, weder die feindliche Landung weder ins Meer werfen, noch sein Heer, das beste der Welt, zu einer erfolgreichen Gegenoffensive einzusetzen zu können. Solange die Alliierten den Luftraum beherrschten blieb der Feststellung Ritter von Thomas, daß Deutschlands einzige Chance darin bestünde „eine Lage zu schaffen, in der wir das Heer einsetzen können" richtig und doch bedeutungslos.
Damit kommen die „Wunderwaffen" ins Spiel, von der NS – Propaganda so bezeichnet und immer wunderlicher werdend, je verzweifelter die militärische Lage wurde. Dabei ging es zum einen um den ersten Düsenjäger, die Messerschmitt Me 262, zum anderen um die ersten Raketen, die den Krieg zu Deutschlands Gunsten wenden würden. Das war Unsinn. Es konnte ja nicht darum gehen, einen Krieg zu wenden, sondern die totale Niederlage in ihm zu verhindern und es gab auch keine „Wunderwaffe". Was es allerdings tatsächlich gab, waren innovative Waffen, die mindestens zum Teil und über einen gewissen Zeitraum, die gewaltige Übermacht der Alliierten eventuell neutralisiert hätten. Hitler traf die Fehlentscheidung, die Me 262 zum Bomber umzubauen, um sie zur Bekämpfung der alliierten Landung einzusetzen. Wäre sie als Jäger in Produktion gegangen, wie von Galland und anderen verlangt, hätte die alliierte Bomberoffensive eventuell über jenen längeren und womöglich entscheidenden Zeitraum niedergehalten werden können, in dem Deutschland dann doch seine geringe und einzige Chance hätte nutzen können, seine Panzerdivisionen gegen die alliierte Invasion einzusetzen. Wäre dann die andere „Wunderwaffe", die Raketen, nach der Vertreibung der Angelsachsen aus Frankreich und nicht nach ihrer Festsetzung dort eingesetzt worden, wäre ihre Wirkung zweifellos größer gewesen. Die Raketen waren in keiner Weise geeignet, das feindliche Potential zu schwächen. Es handelte sich bei ihnen aber um eine psychologische Waffe und der intensivere Beschuß Londons aus gesicherten Batterien am Pas de Calais hätte in Großbritannien eine gewisse Kriegsmüdigkeit verbreiten können, nachdem der erwartete Sieg in Frankreich ausgeblieben war und nach Jahren erneut Schläge aus der Luft einzustecken und nicht mehr nur auszuteilen waren. Die Dynamik der alliierten Kriegführung hing letztlich aber von den USA ab. Die amerikanische Kriegmaschinerie wirkt in einem Kampf zu ihren Bedingungen wie eine zermalmende Kraft, in einem Kampf, in der man ihr keine Schläge versetzen kann, in dem die eigenen Mittel von ihr aufgerieben worden sind. Sie ist jedoch bei näherer Analyse mit einigen Schwächen behaftet. Die Amerikaner sind durchaus nicht abgeneigt, Krieg zu führen, haben jedoch eine recht anspruchsvolle Wunschliste an ihn. Gewaltige materielle Überlegenheit, vernichtende Feuerkraft, totale Beherrschung des Luftraums, problemloser Nachschub und ordentliche Infrastruktur nämlich, all dies bei idealen Wetterbedingungen und – vor allen Dingen - geringen eigenen Verlusten. Man gewinnt den Eindruck, zugespitzt formuliert, daß sie den Krieg am Computer aus klimatisierten Räumen führen wollen und das man sie schnell, an der Front und in der Heimat, demoralisieren kann, sobald man sie mit der blutigen und dreckigen Wirklichkeit des Krieges konfrontiert, indem man ihnen ebenfalls Schläge versetzt. Die Abwehr der alliierten Invasion in Frankreich wäre ein empfindlicher Schlag gewesen und hätte, von geschickten politischen Initiativen aus Berlin unterstützt, das amerikanische Trauma aus dem Ersten Weltkrieg wiederbelebt und dem latenten Isolationismus in den USA Auftrieb gegeben – womöglich so virulent, daß bei den Präsidentschafts- und Kongreßwahlen im November 44 die Kriegspartei unterlegen wäre. Wenn Deutschland im Sommer 44 den militärischen k.o. verhindert hätte, wie Großbritannien, unter allerdings günstigeren Bedingungen, vier Jahre zuvor, wenn Deutschland – im Gegensatz zur Konföderation 80 Jahre zuvor - in Frankreich sein „Atlanta" gehalten hätte, hätte sich eine neue Administration in Washington durchaus zu Verhandlungen bereit erklären und die Casablanca – Politik, die Forderung bedingungsloser Kapitulation, also der Unterwerfung Deutschlands, aufgeben können. Damit wäre das Reich gerettet gewesen. Deutschland konnte Großbritannien nicht niederwerfen, Großbritannien konnte aber auch Deutschland nicht niederwerfen, auch nicht im Bündnis mit Rußland. Vor einem Resumee der Anmerkung muß auf einen bedeutenden Einwand verwiesen werden. Hitlers Beseitigung hätte auch sein Regime beseitigt. Hitler – nicht das Regime, nicht die Partei – verfügte aber über einen beträchtlichen Anhang in den Massen und im Heer, insbesondere in den Mannschaften und bei jungen Offizieren. Diese quasi hitlergläubige Anhängerschaft, die ihn als nationale, säkulare Erlösergestalt verehrte, erodierte seit Stalingrad, so daß das Regime immer häufiger und umfassender zur Repression greifen mußte – sie wäre aber zum Zeitpunkt seines abrupten Endes immer noch beträchtlich gewesen. Hätte es da nicht zu großen inneren Unruhen, zu Meutereien, ja zum Bürgerkrieg kommen müssen? In wohl fast jedem anderen Land höchstwahrscheinlich, aber nicht in Deutschland. Es gibt in keinem Volk mehr Verräter und mehr leidenschaftliche Hasser der eignen Nation, diese typisch deutschen Deutschenhasser. Trotzdem ist es eben auch in anderer Weise Deutschland, das Land der Ordnung, wo ein Befehl ein Befehl ist und wo ohne amtliche Genehmigung kaum jemals gemeutert und rebelliert wird. Bei vielen Menschen hätte der Tod Hitlers Verzweiflung ausgelöst und auch Verzweiflungstaten, die Stabilität der Front und die Kriegsanstrengungen wären aber nicht wesentlich beeinträchtigt worden. Wenn die Beseitigung Hitlers – möglichst schon im Frühjahr 1943 und auf jeden Fall vor der Landung der Alliierten in Frankreich – gelungen wäre und sich dann diese Komponenten glücklich zusammengefügt hätten, deren jede einzelne unabdingbar war: Die Erzielung einer Pattsituation an der Ostfront, die Zerschlagung der alliierten Luftoffensive durch Düsenjäger und die Abwehr der Alliierten im Westen – dann und nur dann hätte es, bei erfolgreicher politischer Betreuung des Gegensatzes zwischen Angelsachsen und Sowjetrussen zum einen, der Kongreß- und Präsidentschaftswahlen in den USA zum anderen, zu einem Waffenstillstand, aussichtsreichen Verhandlungen und einem für Deutschland, für das Reich akzeptablen Frieden kommen können. Diese Anmerkung enthält allzu viele Konditionen und Konjunktive, die alleine schon Ausdruck der prekären Ausgangslage sind. Die Abwehr und Brechung des Ansturms der weit überlegenen Feinde wäre tatsächlich ein quasi historisches Wunder gewesen in dem Sinne, daß etwas nicht eingetreten wäre, was im Grunde genommen als sicher anzunehmen war: In diesem Fall die totale Kriegsniederlage Deutschlands. Es wäre aber nicht das erste derartige Szenarium in der Geschichte gewesen.
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